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Es gibt keine undulierende Periodisierung – Periodisierung erklärt. Part 2

Die wichtigsten Punkte aus Teil 1 zusammengefasst:

  • Matveyev wurde oft falsch verstanden und zitiert
  • Periodisierung ist nie komplett linear
  • Periodisierung ist die zeitliche Organisation des Trainings
  • Periodisierung ist die Organisation der Trainingsanpassungen
  • Trainingsanpassungen entstehen nicht durch eine einzelne Übung oder Einheit sondern primär durch das Zusammenspiel mehrerer Übungen und Einheiten
  • Nicht jede Übung ist geeignet, um Anpassungen zu trainieren

Wann ist Periodisierung komplex? 

Neben der Tatsache, dass Periodisierung immer ein komplexes Thema ist, spricht man von komplexer Periodisierung, wenn mehrere Biomotorische Anpassungen in einem Mikrozyklus trainiert werden.

“Complex training, which involves the concurrent (during one workout or microcycle) and parallel (prolonged stages of training up to a year) use several training tasks and loads of different primary emphasis, is usually regarded as the most effective form of training construction.” Verkhoshansky

Dementsprechend wäre undulierende Periodisierung nicht wirklich etwas anderes als das. Man trainiert schliesslich Kraftausdauer, Maximalkraft, Hypertrophie in einem Mikrozyklus.

Was ist dann Block Periodisierung?

Schreitet man im Training voran wirken die einzelnen Reize nicht mehr so wie am Anfang ( damit ist sogar die Zeit nach den Newbie Gains gemeint, selbst in den ersten Jahren löst ein Trainingsreiz noch mehr aus als später). Somit wird die Summation der einzelnen Reize wichtiger, da man so einen höheren Gesamtreiz erreicht. Wie ich das meine?

Ein erfahrener Sprinter braucht ein konzentrierteres Maß an hochintensivem Krafttraining, um eine Basis für sein Sprinttraining zu schaffen (so die Theorie). Dementsprechend baut man einzelne Blöcke, welche jeweils eine Hauptadaptation erreichen sollen. Die bekannte Varianten sind:

Hypertrophie – Maximalkraft – Explosivkraft – Sprintschnelligkeit

Kraftausdauer – Hypertrophie – Maximalkraft

Dazu wäre natürlich auch die Idee von Hypertrophie – Kraft – Peak/Maximalkraft zu zählen.

Verkoshansky nennt das Ganze Conjugate Sequence System und beschreibt es so:

“The conjugate sequence system (…) involves successively introducing into the training program separate, specific means, each of which has a progressively stronger training effect, and coupling them sequentially to create favorable conditions for eliciting the cumulative effect of all the training loads.” –  Verkhoshansky (2)

Wichtig an diesem Zitat ist besonders die Tatsache, dass der kumulierte Trainingseffekt im Vordergrund steht – also die Summe der einzelnen Reize die letztendlich zu einer Gesamtanpassung und somit zur Sportform oder dem Peak führen.

So und warum gibt es dann keine undulierende Periodisierung?

Wenn Complex oder Concurrent Periodization das gleichzeitige Training mehrere Fähigkeiten in einem Trainingsblock ist, einzelne Übungen spezifische Zwecke erfüllen können und Training immer in Wellenform erfolt – was sollte dann normales Training von undulierender Periodisierung unterscheiden?  Genau nichts.

Und warum ist es wichtig das zu wissen?

Wenn man sich mit Training beschäftigt und sich dafür interessiert, sollte man verstehen, dass es sich hier um die sinnvolle Strukturierung von Trainingsreizen geht – nicht darum irgendetwas möglichst zu benennen und damit den Leuten ein falschen Verständnis zu geben. Dies führt zu Debatten, um die perfekte Periodisierungsform, die leider keinerlei erfolgreichen Ausgang und keinen Erkenntnisgewinn mit sich bringen. Oder gar zur Diskussion, ob Periodisierung überhaupt einen Sinn macht… Training gehen nicht ohne Organisation und somit nicht ohne Periodisierung.

Wenn also Watzlawieck in der Kommunikationswissenschaft sagt “Man kannst nicht nicht kommunizieren”, dann müsste man also in der Trainingswissenschaft sagen “Man kann nicht nicht periodisieren.”

Damit ihr was mitnehmen könnt

Periodisierung im schnell Check:

  1. Was ist sind deine nächsten Ziele und wie sind sie priorisiert ( Wir brauchen ein übergeordnetes Ziel)?
  2. Wie lange ist Dein Trainingszeitraum?
  3. Wie oft kannst Du in der Woche trainieren?
  4. Was sind Eckdaten wie Testwettkämpfe oder Camps?
  5. Welche Trainingsmöglichkeiten stehen Dir zur Verfügung?

Das ist der Zeitmangament Teil. Nun solltest Du einen großen Zeitraum haben – sagen wir 20 Wochen – bis zum Testtag. Das ist die gesamte Trainingsperiode, der Makrozyklus. Diese solltest Du in kleinere Perioden unterteilen  z.B. Monate/4Wochen Blöcke- die Mesozyklen.  Nun teilt man den einzelnen Mesozyklen Trainingsziele zu. Nun kommen die Mikrozyklen, hier nehmen wir je eine Woche. Hier werden die Trainingseinheiten organisiert, wann macht man welche Hauptinhalte.

Nun strukturieren wir nach Inhalten: Haben wir die Ziele für die Mesozyklen so zugeteilt, dass sie aufeinander aufbauen?  Das sollte man nun abchecken  und dabei bedenken es geht nur um einen Fokus in dem jeweiligen Block. In einem Hypertrophieblock hast Du eventuell auch mehr Assistanceübungen (beim KDKler wie auch beim Athleten) um eine solide Basis zu schaffen. In einem Explosivkraftblock reduzierst du die Assistanceübungen lässt sie aber nicht komplett weg. Somit ist auch hier ein “Hypertrohpiestimulus” enthalten. In sich betrachtet wird der Plan nun automatisch von generellen und nicht so intensiven Inhalten zu spezifischen und intensiven Inhalten verlaufen – Wenn die Ziele der Einzelnen Blöcke richtig angelegt sind.

Intensiver heisst: Mehr Gewicht für KDKler und Schneller oder explosiver für die meisten Athleten – nicht anstrengender.

Wenn Du eine sinnvolle Struktur für die Mesozyklen gefunden hast ergeben sich die Mikrozyklen nahezu von selbst. Nun musst Du nur die Inhalte auf die Trainingseinheiten unterteilen und dabei schauen, dass die Müdigkeit nicht zu stark angehäuft wird, die einzelnen Einheiten sich nicht gegenseitig einschränken und die Übungen zu den Inhalten passen.

Nun bist Du schon mal gewappnet denn:

Without a plan your planning to fail

 

Euer Coach B

(1)  Mel C. Siff, Yuri Verkhosansky: Supertraining ( p.367)

(2) Mel C. Siff, Yuri Verkhoshansky: Supertraining (p.290)

Es gibt keine undulierende Periodisierung – Periodisierung erklärt.

Jeder, der mich kennt und schon über Trainingsplanung mit mir gesprochen hat wird meine Ausführungen zum Thema Periodisierung und so genannter Periodisierungsformen wie undulierender Periodisierung und western linear Periodization gehört haben.  Denn es liegt mir einfach am Herzen. Es gibt so etwas nicht. Und jetzt kommt es:

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Matveyev hat nie behauptet Periodisierung verläuft linear.

Warum Matveyev?

Dieser werte Herr war es, der das erste und somit grundlegende Werk zum Thema Periodisierung geschrieben hat. Zu diesem Zweck untersuchte er das Training verschiedener Spitzenathleten der UDSSR und wertete die Daten aus. Der erste wichtige Punkt an dieser Stelle ist: Es handelt sich natürlich um closed skill Sportarten, deren Inhalte sich gut messen und erfassen lassen. Das wichtigste überlieferte Ergebnis war – so möchte man meinen – dass die Intensität der Inhalte zum Wettkampf hin stieg, während das Volume sank. NIE war von einer linearen Entwicklung die Rede.

“Wave oscillations charaterise load dynamics both in relatively small and more prolonged phases (stages, periods) of the trading process.” – Matveyev

Ich weiß wirklich nicht wer diesen Text gelesen hat und dann mit der Idee aufkam man müsse die Intensität linear anheben und das Volumen linear senken. Noch trauriger, dass hierzulande alle unsere gute Sportwissenschaft zu vergessen scheinen während sie sich den Büchern des US Fitnessmarktes entgegenwerfen und dann von linear Periodization reden. Noch trauriger, dass an deutschen Universitäten immer noch erzählt wird, dass man in Maximalkraftphasen auch 3er Wiederholungen am Beinstrecker macht – einfach in allen Übungen.

Irgendwann kam dann der Terminus Undulating Periodization und Daily Undulating Periodization auf. Es wurden Bücher zu dem Thema geschrieben und gelesen. Es wurde einfach so angenommen. Man findet Studien zu diesem Thema auf pubmed – und da frage ich mich doch was falsch läuft mit der Trainingswissenschaft.

Warum?

Dazu müssen wir erstmal erläutern was Periodisierung wirklich ist.

“Periodization is one of the most important concepts in training and planning. This term originates from period, which is a portion or division of time into smaller, easy – to – manage segments, called phases of training” (Bompa)

Es handelt sich also grundlegend um eine Management Struktur. Wie teile ich das Training ein, um es besser planen zu können. Was wird geplant?

  1. Jahresplanung (Wettkämpfe, Grundlagenphasen, Übergangsphasen etc.)
  2. Planung der Biomotorischen Fähigkeiten (Maximalkraft, Explosivkraft, Ausdauer…)
  1. Jahresplanung

Um sich gut auf einen Wettkampf vorbereiten zu können sollte man sich vorher einen Zeitplan machen. Wann arbeitet man an den Grundlagen, wann wird man spezifischer und wann nimmt man sich Zeit um auszukurieren und für den nächsten Wettkampf Anlauf zu nehmen.

Diese Planung wird auf Ebene von Makrozyklen (Jahre, vier Jahrespläne) Mesozyklen (ein Monat oder auch mehrere) und Mikrozyklen (kleinster Planungsteil mit ein bis sieben Tagen in der Regel). Diese Aufteilung ist wichtig, um auf allen Ebenen strukturiert zu bleiben.

2. Planung der Biomotorischen Fähigkeiten

Strukturelle Adaptation (Anpassung des Passiven und aktiven Bewegungsparates – also Sehnen, Knochen und Muskeln) ist die Anpassung, die man in einer Grundlagenphase beispielsweise vorrangig erreichen will. Maximalkraft und neuromuskuläre Effizienz (Intramuskuläre Koordination) ist was man kurz vor einem KDK Wettkampf primär trainiert.

So, also ist Periodisierung die zeitliche Planung des Trainings und die Abstimmung der Inhalte (Anpassungen die ich erreichen will – noch gar nicht Übungen und Sätze) in einer möglichst effektiven Reihenfolge.

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Wie ich meine Sätze und Wiederholungen nun nutze richtet sich – ausschließlich – nach den gewünschten Anpassungen.

Hier gilt es zu beachten:

  1. Nicht jede Übung ist für jede Anpassung geeignet
  2. Eine Einheit hat keinen grossen Effekt
  3. Die Summe der Reize entscheidet über die Ausprägung der Anpassung

1.Nicht jede Übung ist für jede Anpassung geeignet

Mehrgelenkige Übungen (compound movements neudeutsch) eignen sich für zentral nervöse Anpassungen (intra- und intramuskuläre Koordination) und somit für Maximalkraft, Explosivkraft und alle ihre Unterformen. Ebenso eignen sie sich um Stoffwechselanpassungen zu erreichen (aerobe, anaerobe Kapazität etc.). Ein Bizepscurl taugt hierfür genau so wenig wie der Beinstrecker. Isolationsübungen, eingelenkige Übungen, sind ideal um strukturelle Integrität zu fördern und somit für Rehabilitation, Ästhetik und um Schwachpunkte auszugleichen.

Deshalb macht man am Beinstrecker nie weniger als 6Wdh und in der Kniebeuge schon mal sehr schwere 1er oder 2er.

2. Eine Einheit hat keinen großen Effekt

Wenn Du dein Maximum im Bankdrücken hochschrauben willst, was glaubst Du wieviele Einheiten du brauchst, um einen neuen PR zu drücken?

Sicher nicht eine. Die Anpassung ist nicht Resultat einer Übung. Auch nicht einer Einheit. Eine Hypertrophieeinheit Bankdrücken und Klimmzüge löst noch nicht viel aus. Drei Einheiten in einer Woche machen schon was aus, zwölf Einheiten in einem Monat einen Unterschied und 36 Einheiten in drei Monaten lassen T Shirts enger werden.

3. Die Summe der Reize entscheidet über die Ausprägung der Anpassung

Nicht eine einzelne Einheit alleine entscheidet was für Anpassungen ich erreiche, besonders der additive Effekt der einzelnen Einheiten sorgt für eine Anpassung. Genau das wird immer wichtiger je fortgeschrittener der Trainierende ist.

Im zweiten Teil geht es dann tatsächlich an das undulierende und lineare und warum Periodisierung komplex sein kann und auch in Blöcken oder nicht. Es kommt also noch viel. Bis dahin:

schwer heben – besser leben

Euer Coach B

Der Mythos um Laktat – Gastartikel von Dominik Geng

Der Energiestoffwechsel ist ein Thema, dessen Grundlagen einfach zu verstehen sind. Möchte man jedoch tiefer in die Materie eindringen, stellt man fest, wie komplex das Thema wirklich ist.

Da ich in letzter Zeit unheimlich viel Halbwahrheiten – um nicht Bullshit zu sagen – rund um dieses Thema gehört habe, möchte ich gleich mit dem am kontroversesten Themen von allen beginnen: Laktat.

Doch zunächst die absoluten Grundlagen, die notwendig sind um den Artikel zu verstehen.
Ich habe sie sehr stark vereinfacht umschrieben, um den Text für jedermann zugänglich zu machen.
Adenosintriphosphat (ATP) ist der Energieträger in unserem Körper. Durch die Abspaltung von einem Phosphat von ATP wird Energie frei, sodass Muskeln mittels des Querbrückenzykluses kontrahieren können.
Unser Körper hat verschiedene Mechanismen, ATP wiederherzustellen. Einer dieser Wege ist die Glykolyse. Hierbei wird Glukose zu Pyruvat umgewandelt. Dieses Pyruvat kann nun entweder in die Mitochondrien eingehen (aerob) oder mittels des Enzyms Laktatdehydrogenase (LDH) und NADH zu Laktat und NAD+ konvertieren (anaerob).
Mitochondrien sind die sogenannten Kraftwerke der Zelle, in denen alle Stoffwechselwege ablaufen, die Sauerstoff benötigen.

Und hier kommen wir bereits am ersten Mythos um Laktat an: Laktat wird nur produziert, wenn nicht genug Sauerstoff vorhanden ist.
Dies ist falsch. Pyruvat kann viel schneller produziert werden, als es im Mitochondrion verstoffwechselt werden kann. Dazu ist die Aktivität des Enzym LDH relativ hoch im Skelettmuskel, wodurch ständig Laktat produziert wird. Wenn also die Intensität zunimmt, werden Pyruvat und NADH schneller produziert als sie oxidativ verstoffwechselt werden können. Pyruvat und NADH sind die Substrate des Enzyms LDH. Steigt die Substratkonzentration an, so steigt die Geschwindigkeit mit der aus den Substraten die Produkte Laktat und NAD+ werden.
Einfach gesagt: Sind die langsamen oxidativen Wege „überfüllt“, so wird vermehrt auf die schnelle, anaerobe Glykolyse zurückgegriffen und mehr Laktat produziert

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Laktat und der pH-Wert:

Zur Erklärung: Der pH-Wert ist der negative Logarithmus der H+-Konzentration.

Mehr H+ = niedrigerer pH-Wert = saures Milieu (auch Acidose genannt)

Normalerweise arbeiten unsere Muskelzellen bei einem pH von 7. Durch maximalintensive Belastung kann dieser auf 6,2-6,5 sinken.

Ein weiterer Mythos: Laktatsäure. Ja es gibt Laktatsäure, aber die ist beim menschlichen pH-Wert praktisch nicht vorhanden.

In Korrelationsstudien wurde festgestellt, dass ein starker zeitlicher Zusammenhang zwischen Laktatanhäufung, der Akkumulation von Wasserstoff-Ionen(H+) und Eintritt von Ermüdung besteht. Demnach wurde davon ausgegangen, dass ein Senken des pH-Werts wesentliche Ursache für muskuläre Ermüdung ist.

Mit diesen frühen Studien gibt es einige Probleme. Bei Studien mit intakten, aber abgetrennten Muskelfasern lagen die Temperaturen bei ca. 10°C, da die Messmethoden derzeit keine höheren Temperaturen zuließen. Erst später erlaubten neuere Methoden eine Untersuchung bei 25-37°C. Dabei fand man keine oder kaum Effekte der Acidose auf isometrische Kraft oder Verkürzungsgeschwindigkeit. (2)
Typische pH-Wert für verschiedene Belastungen. a: Abweichungsbereiche in Klammern; b: Intensität bei 60-90% von VO2max Quelle: (2)

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Ist ein niedriger pH-Wert also vielleicht gar nicht so schlimm?

Tatsächlich sind die positiven Effekte eines niedrigeren pH-Werts gut dokumentiert.
So kann Hämoglobin mehr Sauerstoff in saurem Milieu abgeben (der sog. Bohr-Effekt) und die Durchblutung im arbeitenden Muskel wird verbessert.

Aber es geht auch komplexer:
Gelangt ein Impuls an den Muskel wird durch das Sarkoplasmatische Retikulum Calcium (Ca2+) ausgeschüttet, was den Querbrückenzyklus einleitet, indem es unteranderem an das Protein Troponin-C (TnC) bindet. (2)

Durch eine Reduzierung des pH von 7,0 auf 6,3 wird die Affinität von Calcium für viele Stellen im Muskel stärker gesenkt, als für den kontraktilen Apparat. (3)
Folglich ist die Menge an Ca2+, die an TnC binden kann bei niedrigerem pH höher. Daraus folgt, dass freies Ca2+ im Cytoplasma während Kontraktion sogar größere Konzentrationen in saurem pH als normalen pH erreicht. (4, 5) Somit ist die Kraftantwort auf einen motorischen Impuls sogar erhöht (3, 6) und kontraktile Kraft könnte schneller ansteigen (7).

Außerdem führt der niedrige pH-Wert dazu, dass weniger Kalium+ die Muskelzelle verlässt, indem es die Chloridkanalaktivität verbessert (8). Dies spielt eine wichtige Rolle in der Erhaltung der Erregbarkeit der Muskelzelle.

Nichtsdestotrotz muss festgehalten werden, dass starkes Absenken des pH-Werts auf ca. 6,5 und darunter auch in anderen Studien zu Krafteinbußen geführt hat.
Viele dieser ursprünglichen Korrelationsstudien wurden außerdem unter ischämischen – Blutzufuhr abgebunden – Bedingungen geführt. Das führt aufgrund der Sauerstoffnot zwangsläufig dazu, dass die Laktatproduktion unverhältnismäßig hoch ist. (9)
So kontrovers man den pH-Wert auch diskutieren kann, Laktat scheint nicht der hauptsächliche Grund für dessen Veränderungen zu sein. Bei Tiidus, Toupling und Houston (10) liest man, dass die Acidose und Laktatakkumulation während intensiver Belastung eher zufällig sind. Tatsächlich kann ein Großteil der Acidose des Skelettmuskels bei Belastung dem ATP Verbrauch selbst hinzugeschrieben werden, bei dem ein H+-Ion entsteht.

Der nächste Mythos: Laktat ist ein Stoffwechselendprodukt / Abfallprodukt
Tritt Laktat aus dem Muskel in den Blutkreislauf ein, kann es in weniger aktive Muskeln wieder aufgenommen, zu Pyruvat oxidiert und dann weiter als oxidativer Brennstoff gebraucht werden. Findet es seinen Weg zur Leber oder Niere wird es nicht nur zu Pyruvat, sondern ganz zurück zu Glukose umgewandelt.
Wie Van Hall (11) gezeigt hat, ist es jedoch wesentlich wahrscheinlicher, dass Laktat in ein- und derselben Muskelfaser zu Pyruvat umgewandelt und weiterverarbeitet wird.

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Das führt mich zu meinem letzten Problem: Welche Aussagekraft haben Laktattests?

Meiner Meinung nach sind Muskellaktattests ein gut geeignetes Mittel um die Intensität einer Belastung festzustellen. Jedoch sind diese Tests invasiv und nicht ohne weiteres durchzuführen.
Blutlaktattests sind dagegen unheimlich einfach durchzuführen. Doch hier ist die Problematik eine viel Größere:
Der Laktatspiegel im Blut ist immer das Ergebnis von Laktatproduktion und Laktatelimination (durch die selben Muskeln, durch andere Muskeln, durch den Herzmuskel, durch die Leber, zum kleinen Teil auch durch die Nieren).
Laktat wird auch zu einem geringen Teil von roten Blutkörperchen produziert und ist ein Parameter des Blutstoffwechsels.
Desweiteren ist die Laktatproduktion von vielen trainingsunabhängigen Parametern bestimmt, die interindividuelle Vergleiche sehr schlecht bis unmöglich machen. (Muskelfasertypverteilung, zytosoler Redoxstatus, Ernährungszustand)bildschirmfoto-2016-11-15-um-15-11-55

Ich plädiere nicht dafür Laktattests komplett abzuschaffen, sich jedoch deren Einschränkungen bewusst zu sein.

Die Kontroverse, die Laktat umgibt rührt wahrscheinlich von Problemen her, die in der Wissenschaft aber auch im Alltag allgegenwärtig sind.
Laktat wird früh als vermeintlicher Ermüdungsfaktor – zum ersten Mal 1907! – erklärt. Aus Trägheit, die allgemeine Meinung zu ändern und vor allem dem Bestätigungsfehler, also mehr und nur jenes Wissen anzuhäufen und auszuwählen, welches die vorhandene These unterstützt, wächst die Laktathypothese immer weiter. Das grundlegende Problem hierbei ist jedoch, zwischen zwei Ereignissen, die zeitlich zusammenhängen (Laktatanhäufung und Ermüdung) direkt eine Ursache-Wirkungsbeziehung zu knüpfen.

Muskuläre Ermüdung ist ein unglaublich komplexes Thema, welches auch heute noch nicht ganz verstanden ist. Das Thema zeigt, dass auch in der Sportwissenschaft voreilige Schlüsse gezogen werden. Erfreulicherweise gibt, es jedoch auch genügend Forscher, die selbst längst etablierte Erkenntnisse kritisch in Betrachtung ziehen.
Quellen:

(1) Baker JS, McCormick MC, Rosbergs RA. Interaction among Skeletal Muscle Metabolic Energy Systems during Intense Exercise. J Nutr Metab (2010)
(2) Cairns SP. Lactic Acid and Exercise Performance. Culprit or Friend? Sportsmed 2006; 36 (4)
(3) Wolosker H, Rocha JB, Engelender S, Panizzutti R, De Miranda J, De Meis L. Sarco/endoplasmic reticulum Ca2 – ATPase isoforms: diverse responses to acidosis. Biochem J 321: 545–550, 1997.
(4) Baker AJ, Brandes R, Weiner MW. Effects of intracellular acidosis on Ca2 activation, contraction, and relaxation of frog skeletal muscle. Am J Physiol Cell Physiol 268: C55–C63, 1995.
(5) Westerblad H, Allen DG. The contribution of [Ca2 ]i to the slowing of relaxation in fatigued single fibres from mouse skeletal muscle. J Physiol 468: 729 –740, 1993.
(6)Ranatunga KW. Effects of acidosis on tension development in mammalian skeletal muscle. Muscle Nerve 10: 439 – 445, 1987.
(7) Radzyukevich T, Edman KA. Effects of intracellular acidification and varied temperature on force, stiffness, speed of shortening in frog muscle fibers. Am J Physiol Cell Physiol 287: C106–C113, 2004.
(8) Nielsen OB, De Paoli F, Overgaard K. Protective effects of lactic acid on force production in rat skeletal muscle. J Physiol 536: 161–166, 2001.
(9)Marcinek DJ, Kushmerick MJ, Konley KE. Lactic acidosis in vivo: testing the link between lactate generation and H+ accumulation in ischemic mouse muscle. J Appl Physiol (1985). 2010 Jun;108(6)
(10) Tiidus PM, Tupling AR, Houston EM. Biochemistry Primer for Exercise Science. Champaign, Il 2012
(11) Van Hall, G. Lactate kinetics in human tissues at rest and during exercise. Acta Physiologica (2010); 199: 499-508
(12) Gladden LB. Lactate Metabolism: A new paradigm for the third millennium. J Physiol 558.1 (2004)